Onkologie, Hämatologie - Daten und Informationen
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8.8.2 Ersatz von Blutbestandteilen

Autor/en: U. Schuler, H. Wandt, H. Link
Letzte Änderung: 01.07.2008

Die nachfolgenden Ausführungen orientieren sich an den Richtlinien von Fachgesellschaften und gelten für jede durch intensive Chemotherapie induzierte vorübergehende Knochenmarkinsuffizienz, die den supportiven Ersatz von Blutbestandteilen erforderlich macht [DGHO 2006] [Kompetenznetz 2008]. Prinzipiell kann zwischen Plasmabestandteilen (im Wesentlichen Gerinnungsfaktoren und Fresh frozen plasma), und den zellulären Bestandteilen des Blutes unterschieden werden. Die Transfusion von Blut und Blutbestandteilen unterliegt dem Transfusionsgesetz und den im Jahre 2005 novellierten Richtlinien der Bundesärztekammer [Richtlinien 2007].

Grundsätzlich wird heute anerkannt, dass der Ersatz von Blutbestandteilen nicht allein nach Grenzwerten erfolgen sollte, die in Richtlinien von Fachgesellschaften genannt werden. Entsprechend des individuellen klinischen Gesamtbildes des Patienten soll ein erfahrener Arzt die Indikation zur Substitution stellen. Denn neben den positiven Effekten der Transfusion sind deren Nebenwirkungen (das Risiko von viralen Infektionen konnte in den letzten Jahren stark reduziert werden) nicht zu vernachlässigen. Neben allergischen und unspezifischen Reaktionen (in etwa 5% der Fälle) sollte das TRALI-Syndrom (Transfusion-related acute lung injury) nicht vergessen werden, das eine akute lebensbedrohliche Komplikation darstellen kann und bisher in seiner Relevanz unterschätzt wurde [Silliman C 2005]. Dieses kann nach Erythrozyten-, jedoch auch ganz besonders häufig nach Thrombozytentransfusionen und Gabe von FFP auftreten. Es ist in den USA die häufigste tödliche Komplikation nach Transfusionen.

Erythrozytentransfusion

Die Indikation zur Substitution mit Erythrozytenpräparaten ist nicht allein anhand des aktuellen Hämoglobinwertes, sondern immer individuell und in Abhängigkeit von der klinischen Symptomatik sowie der Kompensationsmöglichkeiten des Patienten zu stellen. Dabei sind die kardiopulmonale Situation, die akute oder chronische Entwicklung einer Anämie und deren Ursache sowie Begleiterkrankungen und das Therapieziel zu beachten. Ohne zusätzliche Risikofaktoren sollte eine prophylaktische Transfusion von Erythrozyten erst bei einem Hämoglobinwert unter 8 g/dl durchgeführt werden [Zimmermann R 2004]. Pro transfundiertem Erythrozytenkonzentrat (Volumen von etwa 300 ml einschließlich Additivlösung) ist bei Erwachsenen mit einem Anstieg des Hämoglobinwertes um 1,0-1,5 g/dl zu rechnen.

Präparat der Wahl ist das Erythrozytenkonzentrat, das in Deutschland seit 2001 nach derzeitigen gesetzlichen Vorgaben leukozytendepletiert (gefiltert) sein muss (<106 Leukozyten pro Präparat). Die Lagerung erfolgt bei +4 Grad Celsius.

Vollblut, Frischblut oder Warmblut ist kontraindiziert und sollte auch in speziellen klinischen Situationen (Akutausgleich großer Blutverluste, Austauschtransfusion) nicht mehr verwendet werden, da das Risiko transfusionsbedingter Reaktionen und Infektionen erhöht ist. Die Gabe gewaschener (plasmadepletierter) Erythrozytenkonzentrate ist nur bei Patienten mit Immunglobulin-A-(IgA-)Mangelsyndrom und IgA-Antikörpern, bei solchen mit autoimmunhämolytischer Anämie und Komplementverbrauch sowie bei Patienten mit Reaktion auf Plasmaprotein indiziert.

Für Patienten mit komplexen antierythrozytären Antikörpern gegen ubiquitäre Antigene bzw. mit extrem seltenen Antigenmustern sind in größeren transfusionsmedizinischen Einrichtungen typisierte Erythrozytenpräparate kryokonserviert vorhanden, die über einen Zeitraum von 10 Jahren gelagert werden können.

Thrombozytentransfusion

Thrombozytentransfusionen sind nach intensiven Chemotherapien unverzichtbar, die eine länger anhaltende Thrombozytopenie verursachen. Bis heute ist es aber nicht eindeutig erwiesen, wann Thrombozytentransfusionen mit dem größten Effekt und den geringsten Nebenwirkungen bei gleichzeitig möglichst geringen Kosten eingesetzt werden [Wandt H 2005]. Die Kontroverse darüber, in welcher Situation prophylaktische Transfusionen wirklich notwendig und ob nicht therapeutische Transfusionen (Transfusionen bei ersten Zeichen einer Blutung) ausreichend sind, ist noch weitgehend offen. Unter den Nebenwirkungen der Transfusion ist die bakterielle Kontamination zu erwähnen, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:2000 auftreten kann [Hillyer CD 2003].

Generell ist auch bei den Thrombozytentransfusionen klar, dass die Indikation individuell abhängig von der klinischen Situation des Patienten zu stellen ist. Als Schwellenwert für die prophylaktische Transfusion bei Leukämien gilt heute ein Morgenwert von <10/nl [Schiffer CA 2001] [Wandt H 2001]. Die früher bei Leukämiepatienten routinemäßige prophylaktische Transfusion bei Thrombozytenzahlen unter 20/nl ist nicht mehr üblich. Lediglich bei diagnostischen (außer Knochenmarkpunktion) oder therapeutischen chirurgischen Eingriffen und vor Lumbalpunktionen sollten die Thrombozytenzahlen möglichst nicht unter 50/nl liegen. Bei klinisch relevanten Blutungen ist neben der Thrombozytentransfusion stets auch an eine lokale Blutstillung zu denken.

Blutprodukte zum Thrombozytenersatz
  • Gepoolte Thrombozytenkonzentrate aus Buffy coat mit Filtration der Leukozyten
  • Einzelspenderkonzentrate vom Zellseparator (Thrombozytapheresekonzentrate)

Thromobozytenkonzentrate werden unter Raumtemperatur und ständiger Bewegung maximal 5 Tage lang gelagert.

Der Thrombozytengehalt beträgt bei Thrombozytapheresekonzentraten pro Einheit etwa 3-5x 1011, bei Einzelpräparaten aus einer Vollblutspende etwa 0,8x 1011. Die für eine effektive Substitution notwendige Menge liegt für Erwachsene bei 3-4x 1011 Thrombozyten pro Transfusion. Thrombozytenkonzentrate sollen nach der Anlieferung aus der Blutbank sofort transfundiert oder zumindest sofort auf eine Wippe gelegt und somit ständig bewegt werden.

Parameter, welche den Anstieg der Thrombozytenzahl beeinflussen
Aufseiten des Präparats:
  • Thrombozytenqualität
  • Präparationsart
  • Lagerungsdauer
  • Lagerungstemperatur
  • AB0-Inkompatibilität
  • HLA-Inkompatibilität
  • HPA (human platelet antigens)-Inkompatibilität
Aufseiten des Patienten:
  • Verbrauch (Sepsis, disseminierte intravasale Gerinnung, Blutung, Spenomegalie)
  • Medikamente (Antibiotika, ATG (Anti-Thymozyten Globulin), Amphotericin B)
  • Alloantikörper (gegen HLA oder HPA)
  • Autoantikörper

Definition der Refraktärität: Eine Refraktärität liegt vor, wenn nach Transfusion von mindestens 2 Thrombozytenkonzentraten (AB0-kompatibel), die vorher weniger als 72 Stunden lang gelagert waren, kein entsprechender Anstieg der Thrombozytenwerte zu verzeichnen ist. Der Anstieg der Thrombozytenzahl sollte eine Stunde nach Beendigung der Transfusion mindestens 7500/nl betragen.

Vorgehen bei refraktären Patienten
  • Präparatequalität prüfen (AB0-Kompatibilität)
  • Nicht immunologischen Verbrauch ausschließen
  • Alloimmunisierung prüfen (Antikörper-Screening)
  • Verwendung HLA- und HPA-kompatibler Präparate (evtl. Kreuzprobe)

Kommt es bei lebensbedrohlichen Blutungen auch durch Massivtransfusion (5-10 Transfusionen) nicht zu einem ausreichenden Anstieg der Thrombozytenzahl, kann auch ein Versuch mit Tranexamsäure gestartet werden, um die endogene Fibrinolyse zu stoppen [Benson K 1993].

Substitution von Plasma/Gerinnungsfaktoren bei der Leukämietherapie

Die Indikation zur Substitution muss durch einen erfahrenen Hämatologen gestellt werden. Gefrorene Frischplasmapräparate (Volumen: etwa 280 ml), die bei -30 bis -40 Grad Celsius gelagert werden, enthalten alle physiologischen Gerinnungsfaktoren, Inhibitoren und Fibrinolyseenzyme in einer Konzentration von etwa 1 IU/ml. Spätestens 2 Stunden nach dem Auftauen sollte transfundiert werden. Für die erforderliche Menge zur effektiven Substitution gilt folgende Faustregel: bei Erwachsenen 12-15 ml/kgKG.

Bei allen Patienten mit AML sollten bei Diagnosestellung und im weiteren Verlauf bei klinischem Verdacht auf eine plasmatische Gerinnungsstörung folgende Laborwerte bestimmt werden:

  • partielle Thromboplastinzeit (PTT)
  • Quick-Wert
  • Fibrinogenspiegel
  • Antithrombin-(AT-)III-Konzentration
  • Fibrin(ogen)spaltprodukte

Einzelfaktorbestimmungen sind nur in Ausnahmefällen erforderlich (z.B. Faktor XIII).

In der Regel erfolgt eine Substitution von Einzelfaktoren erst ab einem Abfall des Wertes um mehr als 50% der Norm. Bei Verdacht auf eine Hyperfibrinolyse, insbesondere zu Beginn der Therapie bei Hyperleukozytose, wird die Gabe von Tranexamsäure empfohlen. Bei Patienten mit einer Promyelozytenleukämie (AML M3 oder AML M3v) sollte unmittelbar nach Diagnosestellung zusätzlich eine Therapie mit All-trans-Retinolsäure eingeleitet werden, da sich die bestehende Gerinnungsstörung auf diese Weise schnellstmöglich korrigieren lässt.

Granulozytentransfusion

Der Wert der interventionellen Gabe von Granulozytenkonzentraten wird derzeit bei lebensbedrohenden Infektionen neutropenischer Patienten erneut untersucht. Zugelassen sind bisher Granulozytentransfusionen mit Granulozyten kortikoidstimulierter Spender, die allerdings i.A. eine 2- bis 3-mal tägliche Transfusion erfordern. Eine höhere Ausbeute von Granulozyten pro Apherese ist durch die G-CSF-Stimulierung möglich, die jedoch das Votum der lokalen Ethikkommission erfordert und nur im Rahmen von Studien erfolgen sollte. Die Granulozytentransfusion ist bis zum Abschluss randomisierter Studien nicht als Standard anzusehen.

Bestrahlung von zellulären Blutprodukten

Die Bestrahlung soll das Risiko einer Graft-versus-Host-Erkrankung durch die bei der Bluttransfusion mittransfundierten Leukozyten verhindern. Es ist heute nach Einführung der Leukozytendepletion noch nicht vollständig klar, wann eine Bestrahlung unbedingt indiziert ist. Klar ist lediglich, dass alle Blutprodukte für Patienten nach allogener hämatopoetischer Transplantation bestrahlt werden sollten. Dies gilt auch für die Zeit vor der Blutstammzellapherese bei Patienten, die später eine autologe Stammzelltransplantation erhalten sollen. Die Bestrahlung von Blutprodukten nach einer Chemotherapie ist als "nicht gesicherte Indikation" in den neuen Richtlinien zur Hämotherapie aufgeführt [Richtlinien 2007]. Die Erfahrungen aus großen AML-Studiengruppen belegen, dass eine Bestrahlung von Blutprodukten nach konventioneller Chemotherapie (zur Induktion oder Konsolidation einer Remission) nicht erforderlich ist.

Bei ONKODIN publiziert in Kooperation mit "Deutscher Ärzte-Verlag" (Publikation als Buch)
Deutscher Ärzte-Verlag  Deutscher Ärzte-Verlag
und in Kooperation mit "Studien-Allianz Leukämie"
Deutscher Ärzte-Verlag  Studien-Allianz Leukämien
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