Onkologie, Hämatologie - Daten und Informationen
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Einarmige und unverblindete Studie zur langfristigen Wirksamkeit und Sicherheit von Romiplostim s.c. bei Kindern mit ITP

Titel des Originals:

A Single-Arm, Open-Label, Long-Term Efficacy and Safety Study of Subcutaneous (SC) Romiplostim in Children with Immune Thrombocytopenia (ITP)

Abstract-Nr.:

869

Jahr:

2016

Original im Internet:

Blood (ASH Annual Meeting Abstracts) 2016 128: Abstract 869

Autor/en:

John Grainger, 1, James B. Bussel, MD.2, Nichola Cooper3, Michael Tarantino4, Victor Blanchette5, Jenny Despotovic6, Alexey Maschan, MD, PhD7, Nancy Carpenter8, Melissa Eisen9 and Bhakti Mehta9

Institution/en:

1Department of Haematology, Royal Manchester Children’s Hospital, University of Manchester, Manchester, United Kingdom; 2Division of Pediatric Hematology/Oncology, Department of Pediatrics, Weill Cornell Medicine, New York, NY; 3Imperial College London, Hammersmith Hospital, London, United Kingdom; 4The Bleeding and Clotting Disorders Institute, Professor of Pediatrics and Medicine, University of Illinois College of Medicine-Peoria, Peoria, IL; 5Hospital for Sick Children, Toronto, ON, Canada; 6Texas Children’s Hematology Center, Houston, TX; 7Federal Research Center of Pediatric Hematology, Oncology and Immunology n.a. Dmitry Rogachev, Moscow, Russia; 8Amgen Ltd., Uxbridge, United Kingdom; 9Amgen Inc., Thousand Oaks, CA

Zusammenfassung des Berichts

Romiplostim ist bei Kindern mit chronischer ITP auch bei längerer Behandlungsdauer wirksam und sicher.

Bericht über die Inhalte der Studie

Begründung, Rationale

Der Thrombopoietinrezeptor-Agonist Romiplostim ist bisher nur für erwachsene Patienten mit chronischer ITP zugelassen. Phase-I-, -II- und -III-Studien bei Kindern mit chronischer ITP haben gezeigt, dass Romiplostim auch in dieser Altersgruppe wirksam ist.

Fragestellung der Studie

In der hier vorgestellten Studie soll die Wirksamkeit und Sicherheit von Romiplostim über einen längeren Zeitraum von bis zu 3 Jahren untersucht werden.

Art der Studie

Multizentrische, unverblindete, einarmige Beobachtungsstudie

Behandlung, Protokolle, Durchführung bzw. Methode

Die Studie rekrutierte weltweit in 16 Ländern. Kinder mit a) chronischer ITP (Krankheitsdauer ≥6 Monate), b) mit mindestens einer Vortherapie c) und mit einer Thrombozytenzahl ≤ 30.000/µl konnten eingeschlossen werden.

Romiplostim wurde mit einer Dosis von 1 µg/kg s.c. 1x pro Woche begonnen und in 1-µg-Schritten weiter gesteigert, bis eine Ziel-Thrombozytenzahl zwischen 50.000 und 200.000/µl erreicht wurde. Die max. zulässige Dosis waren 10 µg/kg.
Bei den Patienten der europäischen Zentren war die Gewinnung von Knochenmarkbiopsien zu Beginn der Therapie, nach 1- und nach 2-jähriger Behandlung vorgesehen. Der primäre Endpunkt der Studie war der Zeitraum innerhalb der ersten 6 Therapiemonate (in %) mit einer Thrombozytenzahl >50.000/µl und ohne dass irgendwelche "Rescue"-Medikamente hinzugenommen werden mussten.

Ergebnisse, Toxizität

Zum Zeitpunkt der aktuellen Zwischenauswertung nach dem 1. Studienjahr waren 147 Kinder in die Studie eingeschlossen worden und hatten mindestens 1 Dosis Romiplostim erhalten. Das mediane Alter der Kinder betrug 10 (2-17) Jahre, 51% waren Mädchen und 4% waren splenektomiert. Die mediane Dauer der bisherigen ITP-Erkrankung lag bei 1,9 (0,5-12,3) Jahren, die mediane Thrombozytenzahl bei 13.000/µl (2.000-168.000/µl).
[Anmerkung: Es wurden auch Kinder aus vorhergehenden Romiplostim-Studien in diese Beobachtungsstudie übernommen und mit ausgewertet. Diese Kinder hatten unter Romiplostim bereits höhere Thrombozytenwerte erreicht, was erklärt, warum einige Werte bei Studieneinschluss über 30.000/µl lagen.]

In den ersten 6 Monaten waren die Thrombozytenwerte 50% der Zeit im Zielbereich (50.000-200.000/µl), in den folgenden Therapiemonaten 7-12 sogar 92% der Zeit.

80% (114/143) der Kinder zeigten einen Anstieg der Thrombozytenwerte. Für einen Zeitraum von 60% der Beobachtungszeit waren dabei die Thrombozytenwerte um mindestens 20.000/µl höher als der Ausgangswert. Die mediane Therapiedosis lag bei 6,1 µg/kg, stieg aber mit längerer Therapiedauer weiter an und erreichte bei den mehr als 32 Wochen behandelten Kindern sogar 10 µg/kg.

Die mediane Beobachtungszeit betrug zum Zeitpunkt dieser Zwischenauswertung 25 Wochen (1-67 Wochen), die Gesamtbeobachtungszeit 79 Patientenjahre. 46% der Kinder bzw. der Eltern waren in der Lage, Romiplostim selbst zu spritzen.

32 Kinder (22%) beendeten die Therapie, entweder wegen fehlender Wirksamkeit (n=17), weil eine andere Therapie gewählt wurde (n=5), auf eigenen Wunsch (n=4), wegen Noncompliance (n=2) oder aufgrund von Nebenwirkungen (n=2). Ein Kind hatte eine interstitielle Lungenerkrankung ohne kausalen Bezug zur Romiplostim-Therapie und bei einer anderen Patientin kam es zu Bauchschmerzen, Übelkeit, Kopfschmerzen möglicherweise ausgelöst von Romiplostim. Bei 2 weiteren Kindern wurde aufgrund administrativer Entscheidung oder auf Wunsch des behandelnden Arztes die Therapie beendet. 34 Kinder (23%) brauchten eine sog. "Rescue"-Therapie.

Die am häufigsten genannten Nebenwirkungen (alle Schweregrade) waren Kopfschmerzen (27,6%), Nasenbluten (22,8%), Reizungen im HNO-Bereich (23%). Schwere Nebenwirkungen traten bei 15 Kindern (10,3%) auf: starkes Nasenbluten (n=4), Petechien (n=2), erneuter Abfall der Thrombozyten (n=2), persistierende Thrombozytopenie (n=2). Der o.g. Fall mit Bauchschmerzen war die einzige schwere Nebenwirkung, die von den Untersuchern auf Romiplostim bezogen wurde.
52% der Kinder hatten Blutungen, jedoch in der Regel nur leicht (Grad 1-2). Grad-3-Blutungen (nach CTCAE) traten bei 8 Kindern auf (6%): starkes Nasenbluten, Ekchymosen, Hämatome, s.c. Blutungen, Blutungen am Injektionsort, Blutungen der Mundschleimhaut. Grad-4- und -5-Blutungen traten nicht auf.

Ein 13-jähriges Mädchen hatte eine Thrombophlebitis am linken Arm, die Thrombozytenzahl lag zu diesem Zeitpunkt bei 40-70.000/µl, die Romiplostim-Dosis bei 7-8 µg/kg.

Neutralisierende Antikörper gegen Romiplostim oder Thrombopoietin wurden nicht festgestellt.

Bei 30 Kindern gibt es bereits Ergebnisse der Knochenmarkdiagnostik. Zu Studienbeginn lag der nachweisbare Fasergehalt im Knochenmark bei 0-1 (Graduierung nach Bauermeister, Grad 0-1 = keine oder nur einige wenige Retikulinfasern). Dieser Befund ist für ITP-Patienten nicht ungewöhnlich. Bei 21 der 30 Kinder gab es auch schon Folgebiopsien. Dabei fanden sich in keinem Fall ein Anstieg des Fasergehalts von 2 oder mehr Graden, keine Vermehrung von Kollagenfasern oder irgendwelche anderen pathologischen Knochenmarkbefunde.

Schlussfolgerung der Autoren aus der Publikation

Dies ist eine Zwischenauswertung nach dem 1. Jahr. Die Studie zeigt, dass 80% der Kinder einen Anstieg der Thrombozytenwerte erreichen, und dass im Median 50% der Zeit die Werte im Zielbereich lagen. Die mediane Romiplostim-Dosis lag bei 10 µg/kg und es gab keine neuen sicherheitsrelevanten Befunde. Bei den Knochenmarkbiopsien gab es auch keine unerwarteten Ergebnisse. Weitere Zwischenauswertungen nach 2 und 3 Jahren werden folgen.

Kommentar / Beurteilung

Romiplostim und auch der andere Thrombopoietinrezeptor-Agonist sind bisher nicht für die Therapie bei Kindern arzneimittelrechtlich zugelassen. Dafür sind langfristige Beobachtungsstudien, so wie diese hier, notwendig. Bei allen Patienten, gerade aber bei Kindern, muss man sicher gehen können, dass es unter einer Langzeittherapie nicht doch unerwartete Nebenwirkungen gibt. Die Ergebnisse dieser Studie sprechen dafür, dass Romiplostim auch in der Langzeitbehandlung der pädiatrischen ITP seinen Platz finden sollte.

Bei den mit Romiplostim behandelten Kindern gab es keine Grad-4/5-Blutungen. In einer anderen, auf diesem Kongress vorgestellten Studie, kam es bei Kindern mit akuter (!) ITP, die a) niedrige Thrombozytenwerte hatten, die b) nicht oder nur gering bluteten und die c) gemäß den Leitlinien lediglich mit einer Watch-and-Wait-Strategie betreut wurden, im weiteren Verlauf zu 9% schweren Blutungen, darunter eine ZNS-Blutung (glücklicherweise ohne Langzeitschäden) [Heitink-Polle KMJ 2016 ASH Abstr. 866].
Die Kinder in der Heitink-Polle-Studie hatten eine akute ITP und deshalb möglicherweise mehr Blutungen als Kinder mit chronischer ITP. Dennoch entwickeln 0,5% aller Kinder mit chronischer ITP (bei der Subgruppe der Kinder mit niedrigen Werten dürfte die Prozentzahl höher liegen) pro Jahr eine ZNS-Blutung und in vielen Fällen bleiben Langzeitschäden übrig [Grainger JD 2016 ASH Abstr. 1380].
Damit stellt sich die Frage, ob man Kinder mit niedrigen Werten nicht doch besser mit einem Thrombopoietinrezeptor-Agonisten versorgt, auch wenn sie bisher nicht oder nur gering bluten. Bessere Indikatoren für ein hohes Blutungsrisiko werden dringend benötigt.

Ungewöhnlich ist der Anstieg der mittleren Dosis auf 10 µg/kg, je länger die Therapie dauert. Bei Erwachsenen liegt die Dosis deutlich niedriger. Es wäre schön, wenn man dafür bald eine Erklärung finden könnte. Die Autoren der Studie müssen außerdem prüfen, ob mit längerer Therapiedauer nicht noch höhere Dosierungen notwendig werden.

46% der Kinder bzw. der Eltern waren in der Lage, Romiplostim selbst zu spritzen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass über 50% dazu nicht in der Lage waren. Das ist erstaunlich. Kinder mit Diabetes sind i.d.R. zu 100% in der Lage, sich selber zu spritzen und bei kleineren Kindern gibt es keinen ersichtlichen Grund, warum die Eltern das nicht lernen können. Es wäre wünschenswert, wenn die Selbständigkeit der Patienten stärker gefördert würde.

Leider zeigt die Langzeitbeobachtung mit Romiplostim aber auch, dass 22% der Kinder nicht ausreichend ansprechen oder die Therapie aus anderen Gründen beenden müssen. Die Aufgabe der nächsten Jahre wird es sein, auch für diese jungen Patientinnen und Patienten eine wirksame und sichere Behandlung zu finden.


Autor des Berichts:

Prof. Dr. med. Axel Matzdorff

Institution:

Asklepios-Klinikum Uckermark, Medizinische Klinik II (Hämatologie, Onkologie, Gastroenterologie, Nephrologie, Palliativmedizin), Auguststr. 23, 16303 Schwedt

Letzte Änderung:

14.12.2016


Ergänzende Literaturreferenz/en:

  • Heitink-Polle KMJ, Uiterwaal CSPM, Porcelijn L, et al.
    Treatment with Intravenous Immunoglobulin Does Not Prevent Chronic Immune Thrombocytopenia in Children: Results of a Randomized Controlled Trial.
    Blood (ASH Annual Meeting Abstracts) 2016 128: Abstract 866
    [Abstract online]


  • Grainger JD, Harrison L, Bolton-Maggs PHB.
    United Kingdom Experience of Intracranial Bleeds in Childhood Immune Thrombocytopenia.
    Blood (ASH Annual Meeting Abstracts) 2016 128: Abstract 1380
    [Abstract online]